Landschaft konstruieren
»Hier, in diesem Zentrum, dem sich öffnenden und zugleich begrenzten Raum, schlägt das Herz der Olympischen Spiele.« – Jürgen Joedicke, Architekturtheoretiker, 1969
»Weg von Militarismus, weg von Gigantismus, weg von Pathos«, wie es Willy Daume beschrieb. All das sollte sich nicht nur in der Veranstaltung selbst widerspiegeln, sondern ebenso in der Architektur. Die XX. Olympischen Spiele 1972 in München sollten als die »heiteren Spiele« in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen, was sich angesichts des Attentats vom 5. September 1972 nicht bewahrheitete. Die Architektur der Anlage im Münchner Norden sollte die Idee der Leichtigkeit und Zurückhaltung mittragen. 1967 wurde der Wettbewerb für die Planung der Stadien und der umliegenden Parklandschaft auf dem Oberwiesenfeld ausgelobt. Behnisch & Partner gingen mit ihrem Entwurf als Sieger hervor. Mit ihrem Konzept plädierten sie »dafür, konzeptionell in Richtung ›Nicht-Architektur‹ zu gehen, d. h. die Dimensionen der Stadien in einen topgraphischen Zusammenhang einzubinden, um deren Solitärcharakter und die damit verbundene Monumentalität zu vermeiden.«[1]Auer, Fritz. Zur Entstehung des Olympiaprojektes vom Wettbewerb bis zur Auftragserteilung – aus meiner Erinnerung. München, 1999, S. 1.
»Im Anschluß an die Ausstellung besichtigten wir das WB-Gelände Oberwiesenfeld und stiegen zur besseren Übersicht auf den damals etwa zur halben Höhe aufgeschütteten ›Schuttberg‹ aus Trümmern des Krieges und Aushubmaterials des U-Bahnbaus. Der Fernsehturm war zu diesem Zeitpunkt bereits als Schaft vorhanden.«[2] Ebd., S. 2.
»Die große Problematik des Entwurfs liegt in der Zeltdachkonstruktion.«
Pate für die Überdachung der Olympiastadien stand der Deutsche Pavillon auf der Weltausstellung in Montreal 1967, entworfen von Rolf Gutbrod, Frei Otto und Fritz Leonhardt. Dem voraus ging der Gedanke, das Dach selbst als Teil der Landschaft zu verstehen, in der es steht: »[…] es sollte auf die verschiedenen Situationen der Landschaft eingehen können, hier beschirmend, dort sich öffnend.« Das Preisgericht äußerte jedoch Bedenken, die weitaus kleinere Montrealer Zeltkonstruktion als ausreichende Referenz für die Realisierbarkeit der Münchener Dachkonstruktion zu sehen und forderte die Architekten zur Überarbeitung auf. Vier Monate später übergaben die Architekten der Olympiabaugesellschaft einen Arbeitsbericht mit mehreren Überdachungsvarianten bzw. -alternativen. Erst »[n]ach mehreren Gutachtersitzungen und einer nochmaligen Zusammenkunft des ehemaligen Preisgerichts mit einer abschließenden eindeutigen Empfehlung für das punktgestütze Hängedach schloß sich am 21. Juni 1968 der Aufsichtsrat der OBG unter Vorsitz von F. J. Strauß diesem Votum an.«[3] Auer, Fritz. Zur Entstehung des Olympiaprojektes vom Wettbewerb bis zur Auftragserteilung, S. 5ff.
»Dach und Landschaftsformen durchdringen und steigern sich. Das Dach kommt stellenweise bis zum Boden herunter, wird greifbar und verständlich.«[4]Zitat aus „Die Verwirklichung einer Idee“, 36
»Die Landschaft mit ihren Merkmalen empfängt den Besucher des Olympiaparks und begleitet ihn bis in die Sportstätten. Aber auch innerhalb der Sportstätten bleibt diese Verbindung spürbar.« Das Ziel war von Anfang an, einen Park nicht nur für die Zeit der Olympischen Spiele zu bauen, sondern eine die Sportveranstaltung überdauernde Erholungslandschaft für die Münchner Bevölkerung zu schaffen. Die weitläufige Hügel- und Parklandschaft scheint naturgewachsen, wurde jedoch in seine jetzige Form künstlich modelliert: »Damit ergab sich eine quasi-natürliche topografische Gliederung des Oberwiesenfeldes in einen Bereich südlich des Mittleren Rings mit den Hauptsportstätten und einen nördlich davon für die Zentrale Hochschulsportanlage und das Olympische Dorf.«[5] Auer, Fritz. Zur Entstehung des Olympiaprojektes vom Wettbewerb bis zur Auftragserteilung, S. 2. Weiterer Teil des Landschaftskonzepts ist der See in der Mitte des Parks. Ursprünglich verlief dort nur ein schmaler Bachlauf – der Nymphenburger Kanal –, der zu einer großen Wasserfläche aufgestaut wurde.
»Grüngefärbte Sitzschalen verbinden optisch das Grün des Spielfeldrasens mit dem Landschaftsgrün außerhalb der Mulde.«[6] Auer, Fritz. „Die Verwirklichung einer Idee – Anlagen und Bauten für die Olympischen Spiele 1972 in München.“ In Bauen + Wohnen 7 (1972).
Referenzen
↑1 | Auer, Fritz. Zur Entstehung des Olympiaprojektes vom Wettbewerb bis zur Auftragserteilung – aus meiner Erinnerung. München, 1999, S. 1. |
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↑2 | Ebd., S. 2. |
↑3 | Auer, Fritz. Zur Entstehung des Olympiaprojektes vom Wettbewerb bis zur Auftragserteilung, S. 5ff. |
↑4 | Zitat aus „Die Verwirklichung einer Idee“, 36 |
↑5 | Auer, Fritz. Zur Entstehung des Olympiaprojektes vom Wettbewerb bis zur Auftragserteilung, S. 2. |
↑6 | Auer, Fritz. „Die Verwirklichung einer Idee – Anlagen und Bauten für die Olympischen Spiele 1972 in München.“ In Bauen + Wohnen 7 (1972). |
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