Selbst und Kritik
Ich – Ich selbst – Das Selbst
Wer ist das?
Wir sind doch nur Fleisch und Bewusstsein, keine Götter aus der Maschine
Aber wenn ich nicht ich bin, was bin ich dann? Im Gegensatz zum Anderen?
Das Andere, die Umwelt
Subjekt und Objekt stehen sich gegenüber- zwei Seiten einer Medaille, einer Perspektive
Aber wir können die Perspektive nicht ändern, sind verhaftet in ihr:
Durch das Wahrnehmen des Äußeren als ein zu Erkennendes
erfährt die Wahrnehmung sich selbst als Voraussetzung, und begreift sich selbst
Es postuliert sich das Wahrnehmende als Subjekt in dieser unterscheidenden Beobachtung
denn es kann sich selbst als Einziges eben nicht als ein Objekt greifen
scheitert an den Grenzen seiner eigenen Beobachtungstätigkeit
und muss sich daher als ein Verschiedenes annehmen – unterschieden von dem stets greifbaren Außen
Es fühlt sich selbst, nimmt seinen Körper, in dem es wie in seiner Perspektive verhaftet ist, als den eigenen
wahr
Durch Sprache nennt es sich ‚Ich‘, bezeichnet sich
Ein Kontrast zum Anderen, und doch im ständigen Austausch mit ihm – den es zu seiner Konstituierung
braucht
Das Ich nimmt das Außen wahr, es hinterlässt Eindrücke in ihm
In der Form der Kritik stellt sich das Außen gegen das Ich
überschreitet eine klare Grenze, und dringt in das Sein und Selbstbewusstsein des Ich ein
ein Angriff führt zur Kränkung – perfider Verletzung – Mangel an Selbstsein
Aber warum? – was kann Kritik uns schon?
Sie stellt uns und unsere Selbstwahrnehmung in Frage, wo doch jene Erkenntnisfähigkeit das scheinbar einzig
sichere war
Und unsere Perspektive die einzig uns mögliche und legitime
Denn wer sollte uns besser begreifen als wir uns selbst, aus jener subjektiven Perspektive?
Das Gewahrwerden der Existenz einer alternativen Perspektive, stellt alles in Frage
sowohl die subjektive Wahrnehmung als auch das Subjekt,
denn welche Berechtigung bleibt dann dem Ich für sich?
Unsere Perspektive, unsere Ich-Verhaftetheit, die Postulierung unserer selbst als das wahre Sein
macht uns anfällig für Selbstzweifel, verstärkt und ausgelöst durch gnadenlose Kritik
und beraubt uns zugleich der Möglichkeit einer Gegenwehr mit objektiver Sicherheit
Sich aus diesen Zweifeln – dem ewigen Leiden an Unsicherheit – zu lösen
heißt, sich abzuwenden von jenem sich selbst schaffenden Ich und der differenzierenden Sicht,
die doch eigentlich nur sich selbst unterscheidend betrachtendes Bewusstsein ist
Kritik kann uns nicht mehr treffen, wenn jene schneidenden Worte nicht mehr an jemanden gerichtet sind
– Es gibt kein Ich, denn es mangelte ihm an wahrhaftigem Sein
Was bleibt ist reines Bewusstsein, fließende Wahrnehmung
ohne Bezug auf einen Wahrnehmenden, ohne Unterscheidung vom Wahrgenommenen
Das Außen hat genau so viel Eigensein wie das Ich – nämlich keins
Alles ist den gleichen Prozessen unterworfen und stets Bestandteil der Wahrnehmung
konstituiert sich aus und mit anderem: kein Ich ohne Außen, kein Anderes ohne Ich
Nichts steht allein für sich
Alles ist abhängig
und nur die nicht-unterscheidende Wahrnehmung legt diese Leerheit aller Dinge offen
Die Kritik ist leer, denn sie richtet sich an kein Subjekt und kommt von keinem Objekt
– dies ist kein realer Unterschied, sondern war nur geschaffen durch unsere eingeschränkte Sicht
nicht haltbar im Angesicht alles Seienden
Mit dem Ende der Zweiheit unseres Erkennens und jeglicher Differenzierung
werden Subjekt und Objekt eins
so auch Kritik und Selbst
sie fallen zusammen und gehen ineinander verloren, aber bilden keine Verflechtung mehr
bis es keines von beidem mehr gibt
Ein Modus, der die Dinge sieht wie sie sind – und doch nicht praktikabel ist
zumindest solange wir verhaftet und gefangen bleiben in der natürlichen Art unserer Beobachtung,
die unterscheiden und benennen und sich rechtfertigen muss
Ist eine andere Beobachtung uns überhaupt möglich? Oder ist sie einem Gott vorbehalten?
Vielleicht bleibt uns die menschliche Möglichkeit unseres analysierenden Verstandes,
der die Illusion der Unterscheidung durchschaut, die Leerheit des Selbst versteht
und jenseits sprachlicher Konventionen die Wirklichkeit erkennt
und danach handelt, frei von falschem Leid
Kritik wird überwunden, Selbsterkenntnis auch
was bleibt ist paradoxale und unbegreifliche Existenz
die weder durch Unterscheidung noch ohne sie gefasst werden kann
Das Nichtunterschiedene – Das Selbe – Das Selbstsein