G. W. F. Hegel

Hegel über menschliche Natur

Philosophie ist Selbsterkenntnis. Sie stellt die Frage danach, was es heißt, Mensch zu sein. Im Zentrum der Antwort Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770-1831) steht die Charakterisierung: Mensch sein bedeutet, denkendes Wesen zu sein. Wir erkennen uns selbst, und begreifen unsere geistige Wirklichkeit, indem wir uns als denkend denken. In zwei Werken, die in einer Kontinuität stehen, ist diese Selbsterkenntnis unterschiedlich ausbuchstabiert: In der Phänomenologie des Geistes (1807) legt Hegel eine Konzeption von Selbstbewusstsein frei, indem er uns schrittweise von hinderlichen Vorstellungen darüber befreit. Dieses Selbstbewusstsein begreift die Wirklichkeit seines eigenen Daseins. Die Wissenschaft der Logik (1812-1860), das zweite große Werk Hegels, auf das ich hier nicht weiter eingehe, behauptet sich, ausgehend von der Logik als Wissenschaft des reinen Denkens, als die Untersuchung des Menschen als metaphysisches Wesen. Es ist keine empirische Behauptung, dass “wodurch sich der Mensch vom Tiere unterscheidet, das Denken ist”[1]Hegel, G. W. F.: Wissenschaft der Logik. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1971., sondern logische Bestimmung seines Daseins und Grundlage seines Sich-Verstehens.

Wir sind geistige Wesen. Wir stehen daher in einem bestimmten Verhältnis zur Natur: Wir beziehen uns in Freiheit auf die Natur. Was heißt das? Wir handeln nicht unmittelbar so, wie es die Natur diktiert. Wir können für unser Handeln Gründe angeben, durch die wir uns auf unsere vernünftigen Fähigkeiten eines denkenden Wesens und auf andere als Träger derselben (abstrakt verstandenen) Eigenschaft beziehen. So weisen wir uns als selbstbewusste Wesen aus. Im Bewusstsein stehen wir einem Gegenstand gegenüber, der wir selbst nicht sind. Im Selbstbewusstsein unterscheiden wir etwas, auf das wir uns zugleich anerkennend beziehen: Selbstbewusste Wesen, die sich kategorial von den nicht selbst vernünftigen Gegenständen meiner Erkenntnis unterscheiden, die eben das gleiche abstrakte Prinzip meiner Daseinsweise teilen. Indem wir unser Bewusstsein mit dem Handeln und dem Dasein einer Art (des Menschen) gleichsetzen, verwirklichen wir eine “selbstbewusste Lebensform”[2]Kern, A.: “Selbstbewusstsein und die Idee der Bildung als „immanentes Moment des Absoluten“. Über einige Unterschiede zwischen Kant, Hegel und McDowell”, in: Th. Oehl, A. Kok, Objektiver und absoluter Geist nach Hegel. Kunst, Religion und Philosophie innerhalb und außerhalb von Gesellschaft und Geschichte, Leiden/Boston: Brill 2018., die gerade dies in allgemeiner Form ausdrückt. Der Geist weiß sich selber als wirklich.

Der Geist ist weder etwas, das zur Natur äußerlich hinzutritt (der Mensch als vernünftiges Tier), noch erheben wir uns durch den Geist ein für alle Mal über die Natur. Unser Geist ist abhängig von der Natur. Gleichzeitig kann unsere Natur niemals nicht-geistig sein. Es liegt in der menschlichen Natur, geistig bestimmt zu sein. Wenn ich von “unserer” Natur rede, meine ich immer schon eine geistig bestimmte Natur, nicht etwas, das vom Geist unabhängig ist.

Was machen wir, wenn wir die Frage stellen, was uns als Geist von der Natur unterscheidet? Wir gelangen zu Selbsterkenntnis, indem wir Unterschiede setzen, die wir so gar nicht unmittelbar in der Natur vorfinden. Was uns ausmacht, ist bereits, dass wir unser eigenes Denken denken können. Indem wir uns selbst als denkende Wesen denken, stoßen wir auf diese Unterscheidung, in der wir die Natur von uns als geistigen Wesen abgrenzen, deren Natur durch unsere spezifische Geistigkeit einen grundlegend anderen metaphysischen Status erhält. Wir verstehen, was uns als denkende, geistige, Wesen gegenüber nicht-geistigen Wesen ausmacht. Eine wichtige Erkenntnis: Wir sind nicht einfach Wesen, zu deren bloßer Natur Geist hinzukommt und uns so vernünftig macht, uns von unseren Instinkten distanziert und uns Gründe für unsere Akte an die Hand gibt. Wir können sagen, dass vielmehr der Geist unsere Natur schon immer durchdringt. Wir verstehen uns als Menschen, indem wir uns in einem wesentlich vernünftigen Handlungsraum verorten, der ein Ausdruck der menschlichen Freiheit ist, die als Prinzip des Geistes die menschliche Natur ausmacht.

Referenzen

Referenzen
1 Hegel, G. W. F.: Wissenschaft der Logik. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1971.
2 Kern, A.: “Selbstbewusstsein und die Idee der Bildung als „immanentes Moment des Absoluten“. Über einige Unterschiede zwischen Kant, Hegel und McDowell”, in: Th. Oehl, A. Kok, Objektiver und absoluter Geist nach Hegel. Kunst, Religion und Philosophie innerhalb und außerhalb von Gesellschaft und Geschichte, Leiden/Boston: Brill 2018.

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