Philosophische Häresien. Eine Materialsammlung.

[Folgendes Beispiel veranschaulicht den Kampf um die Sprache in der Philosophie; es ist der Vorrede zu einer 2017 an der philosophischen Fakultät München eingereichten Hausarbeit entnommen. Weder die erzielte Note noch das Gutachten des Dozenten konnten ermittelt werden. — Der Herausgeber.]

[47] Vor dem Wort

Es soll Menschen geben, die Philosophie betreiben als Klauberei von Argumenten. Prämisse hier, Konklusion dort — bei alldem stört sie nur noch das Wort. Sprache ist ihnen, so scheint es, notwendiges Übel der Mitteilung, Instrument zur unmittelbaren Kommunikation. Es soll Menschen geben, die unter Philosophie und philosophischem Schreiben sich nichts besseres vorstellen können als folgende Worte:

Rather, philosophers insist on the method of first attaining clarity about the exact question being asked, and then providing answers supported by clear, logically structured arguments. […] Good philosophy proceeds with modest, careful and clear steps.

Certain conventions are helpful and generally expected in philosophical writing: Avoid direct quotes. […] Use first person personal pronouns and possessive pronouns freely; signpost. […] Say exactly what you mean, and no more than you need to say. […] Be careful with specialized language.[1]

Gerade das von diesen Menschen verschmähte Wörterbuch fährt ihnen aber dazwischen: Klauberei ist eben wesentlich Wort-klauberei. Aber Sprache ist Wortklauberei nicht im Sinne jener philosophischer Sprachverirrungen, denen in der leider karnivalesk-polysemen Sprache der phrasenhafte Hund begraben liegt, sondern im Glauben an das treffende Wort, das einzig zum Ausdruck des sich wiederum vor dem Wort ausweisenden Gedankens taugt. Schimpft man solches Sprachverständnis nun Literatur, gut — dann wäre Philosophie sprachloses Unverständnis oder nur noch als Essay möglich. Und der, als die philosophische Reflexionsform von Kritik und Krise, war schon immer etwas Amorphes.

Offenbar geht es beim Essay von Anfang – und das heißt hier ganz klar von Montaigne – an gerade um die Selbstbehauptung des Subjekts im Kontext seines Wissens. […] Seit sich das Subjekt zur Sprache bringt, bildet die Basis seines Sprechens eine Skepsis, die zugleich die Basis des Essays ist.[2]

Das Subjekt bringt sich zur Sprache, die es aufnimmt oder angewidert ausspeit. In diesem Sinne nun bleibt mir nichts anderes denn meine Pflicht an der Sprache zu tun, das heißt mich vor ihr zu verneigen und Karl Kraus zu Wort kommen zu lassen. Möchte man sich nicht mit ihm befassen, sollte man das Schreiben lieber lassen: Argumente kann man bekanntlich auch formal aufschreiben, ohne damit die arme Sprache zu malträtieren. Freilich ist das dann kein emphatischer Ausdruck mehr, sondern stummer Abdruck der eigenen Sprachlosigkeit. Insistieren diese Philosophen, wie aus Harvard verlautet, auf dem Definieren, so der Wiener Nörgler auf der lebendigen Sprache. Man lausche:

Ich beherrsche die Sprache nicht; aber die Sprache beherrscht mich vollkommen. Sie ist mir nicht die Dienerin meiner Gedanken. Ich lebe in einer Verbindung mit ihr, aus der ich Gedanken empfange, und sie kann mit mir machen, was sie will. Ich pariere ihr aufs Wort. Denn aus dem Wort springt mir der junge Gedanke entgegen und formt rückwirkend die Sprache, die ihn schuf. Solche Gnade der Gedankenträchtigkeit zwingt auf die Knie und macht allen Aufwand zitternder Sorgfalt zur Pflicht. Die Sprache ist eine Herrin der Gedanken, und wer das Verhältnis umzukehren vermag, dem macht sie sich im Hause nützlich, aber sie sperrt ihm den Schoß.[3]

Vor dem Wort hat Karl Kraus stets das letzte Wort.

 

[1] Harvard College Writing Center. A Brief Guide to Writing the Philosophy Paper.

[2] Schärf. Geschichte eines Essays. S. 17.

[3] Karl Kraus. Sprüche und Widersprüche. Die Fackel, Nr. 272/10. S. 40-48, hier 48.

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