Gespaltene Gesellschaft
Wir sind jung: Wir fühlen uns lebendig, abenteuerlustig gestimmt. Uns ist Freiheit wichtiger als Sicherheit, die wahre Freundschaft wichtiger als der soziale Umgang, und sofort würden wir, sollte es dazu kommen, ‚Liebe und Vertrauen‘ anstatt ‚Vorsorge und Respekt‘ als Grundpfeiler einer neuen Gesellschaft ausrufen.
Aber wir alle werden älter. Die, die einst jung waren, sind für uns heute zu Pfeilern geworden, zu den tragenden Säulen und Statuen, die den Raum aufspannen und bevölkern, in dem wir jetzt schon mitleben. Und wenn wir uns in diesem Raum umsehen, dann entdecken wir, dass sich durch die statuenhafte Raumbevölkerung ein Riss zieht, der niemanden verschont, sondern jedem eine Grenze darstellt: Lebst du allein oder bist du Teil einer Partnerschaft? Nicht, dass das etwas ändern würde!, wird zwar betont – überhaupt wird sich kaum jemals offen nach dieser Information erkundigt, und doch ist es die Frage, an der sich die Gesellschaft in zwei Teile spaltet.
Lebt man in einer Partnerschaft, so hat für die meisten der Umzug in ein Haus oder in eine Wohnung ’nur-für-uns-zwei‘ dem jugendlichen Kommunengedanken ein Ende gesetzt. Man muss ja irgendwann schließlich mal, natürlich, das war ja alles schön und gut, aber, meine Meinung geändert habe ich eigentlich nicht, nur sonst kommt man auch niemals irgendwo an. Zwanzig Jahre nach dem Umzug: die Freunde von früher, verheiratet oder verpartnert, in der Gegend zerstreut. Das Risiko, dass die Freundschaft bereits gestreut hat, steigt mit zunehmendem Alter; weitere Risikofaktoren sind Kinder, Karriere, Geld, Sicherheit.
Lebt man dagegen allein, so wohnt man oftmals wirklich allein. Auch hier schloss zumeist das Umziehen in eine eigene Wohnung das wilde Gemeinschaftsleben ab. Ich würde ja gern, aber man kann schließlich nicht, wo würde das hinführen, mit vierzig noch mit Personen das Bad teilen, mit denen man nicht auch das Bett teilt. Einige Jahre und einige Umzüge später: viele Orte gesehen, viele Leute getroffen, in der Wohnung noch immer allein. Die früheren Freunde, wenn in Partnerschaften mit Kindern, haben ein völlig anderes Leben. Wenn alleinstehend, leben sie wie man selbst – Spieleabende mit den Nachbarn und Kolleginnen, Geldverdienen für die Fortbildung, die Lebensqualität.
Die Zeit zieht uns. Sie zieht uns weiter, zieht uns nach vorne, nach oben; sie zieht uns auseinander. Je älter man wird, desto eher bangt man um das eigene Auskommen, um den Status, um das, was man nie wollte, aber trotzdem seit langem hat. Was wollte man denn ehemals? Was wollen wir jetzt?
Die wahre Freundschaft, die wir leben; ewige Jugend, von der wir träumen; Familie und Vertrautheit zwischen Fremden und Verschiedenen, wonach wir uns sehnen; Neuerungen, Offenheit, Mut zum Außergewöhnlichen, Lust zur Veränderung… Lasst uns dabeibleiben. Lasst uns der Werbung der gespaltenen Gesellschaft nicht trauen. Halten wir an der Idee vom gemeinschaftlichen Leben fest, Verpartnerte wie Alleinstehende. Und verwirklichen wir sie.