Peter Lustig
Anarchie in Latzhose
Einen Text über Peter Lustig zu schreiben, ist schwer. Was wird daraus? Ein Porträt über den Menschen Peter Lustig losgelöst von der Figur in Löwenzahn? Beinahe unmöglich. Eine melancholische Kindheitserinnerung an Sonntage vor dem Fernseher, wo ein Latzehose tragender Mann die Welt erklärte? Vielleicht schon eher.
Peter Fritz Willi Lustig ¬– so sein bürgerlicher Name – brachte mit der ZDF-Kindersendung Löwenzahn ein Stück Anarchie und Umweltbewegung in die Kinderzimmer. Peter Lustig, ein Name wie ein Pseudonym, das in den Hinterzimmern des ZDF erdacht wurde, fungierte dabei als Autor, Moderator, Protagonist und Identifikationsfigur. Stets angetrieben von einer kindlichen Neugierde auf die Welt um ihn herum, erklärte er die großen und kleinen Rätsel des Alltags und der Natur.
Natur und Alltag war stets eng miteinander verbunden in Peter Lustigs Welt in Löwenzahn. Der Bauwagen, in dem er lebte, nicht selten Startpunkt der Entdeckungen. Das Leben in einem Bauwagen, umgeben von einer wilden Blumenwiese und Bäumen ließ immer ein wenig Anarchismus mitschwingen. Dieser Anarchismus beginnt schon im Vorspann der Serie, wenn zunächst eine einzige Löwenzahn-Pflanze auf der Straße zu finden ist, sich mit der Zeit jedoch nach und nach unkontrolliert über das ganze Viertel vermehrt.
Das Unkontrollierte, Spontane ist es, was Peter Lustig und Löwenzahn auszeichnet. Er nimmt einen an die Hand, führt durch die Sendung. Die Dramaturgie einer Episode wird häufig von alltäglichen Fragen und Problemen, auf die Lustig stieß, getragen. Nicht selten war es auch die Figur des Nachbarn Paschulke, die den bürgerlich-konservativen, vielleicht sogar engstirnigen Gegenpart zu Lustig übernahm und so den Entdecker- und Erfindergeist Lustigs weckte. Das alles spielte sich in der von Löwenzahn und Peter Lustig kreierten und dargestellten Natur ab.
Natur ist in der Welt von Löwenzahn ein vielschichtiger Begriff, sehr eng an Umwelt geknüpft. Sicherlich kein Zufall, fiel der Start der Sendung 1980 mitten in die aufkommende Anti-Atomkraftbewegung samt folgender Gründung der Grünen. Ein hagerer Mann, der mit Latzhosen bekleidet in einem Bauwagen auf einem unbebauten, nahezu verwilderten Grundstück lebt, lässt ebenfalls den Zeitgeist der 70er und 80er mitschwingen. Umwelt und Natur werden von Peter Lustig nicht nur als etwas zu Schützendes anerkannt, sie sind auch Spielwiese und Entdeckerland. Die Natur führt durch die Sendung und lässt Lustig mit den Zuschauer*innen die Welt im Großen wie im Kleinen erkunden. Von kindlicher, beinahe schon pedantischer Neugierde getrieben, kam Peter Lustig so in allerhand Museen, Forschungseinrichtungen oder auch zur Feuerwehr. Dies mag teils holprig gespielt und etwas zu sehr gewollt erscheinen, es vermittelte dennoch einen Blick auf die kleinen Dinge in der Natur und Umwelt. Und auf dieser Reise wurde man als Zuschauer*in abgeholt, auch durch das Stilmittel des Durchbruchs der vierten Wand – nicht nur am Ende jeder Episode mit der Aufforderung zum „Abschalten“.
Die dazugehörige Geste einer Drehbewegung, wie sie für das Abschalten alter Fernseher nötig war, ist sicherlich ein Anachronismus aus der Anfangszeit der Sendung. Ansonsten ist Zeitlosigkeit, genauso jedoch Relevanz dieser Themen bis heute, ein weiteres Merkmal des Wirkens von Peter Lustig. Waren es in den 80ern möglicherweise das Waldsterben und die Anti-Atomkraftbewegung, stehen heute mehr Klimawandel und -erwärmung im Vordergrund. Und dennoch fühlen sich Episoden von Löwenzahn weder aus der Zeit gefallen noch in einer bestimmten Zeit verhaftet an. Vielleicht hatten die Latzhosen anfangs noch Schlag, Peter Lustig in den letzten Folgen einen deutlich ergrauten Bart, die Natur und Umwelt als bestimmendes Motiv blieb gleich. So umgibt Löwenzahn eine Art der Entschleunigung, die keinem Zeitgeist hinterherzurennen versucht, gleichzeitig jedoch aktuell und relevant erscheint.
Peter Lustig, der Löwenzahn 2005 an seinen Nachfolger Fritz Fuchs (selbstverständlich ein ausgedachter Figurenname) abgab und einen letzten Auftritt 2007 in der Folge Lebenswandel – Zeitreise in Bärstadt hatte, verstarb 2016. Helmut Krauss, Darsteller von Nachbar Paschulke, starb 2019.
- #14 Index
- Die Natur und ihre politische Instrumentalisierung
- Recht ohne Außenseite
- Plotin über Natur, Theorie und Praxis
- Die Crux der Philosophie oder: Philosophie als Betrug
- Peter Lustig
- G. W. F. Hegel
- Francoise d’Eaubonne
- Alienated Nature
- “The business of business is [environmentally friendly] business.”
- Diskussionsabend "Einsicht und Zwang – Frisst Sicherheit die Freiheit auf?"
- Natur und Kultur in der freudianischen Psychoanalyse
- Interview mit Bernhard Gill
- Kunstbeitrag
- Roadkill