„Das einzige Hindernis für den Fortschritt des Kapitalismus ist der Kapitalismus“

Bemerkungen zu Kulturindustrie, kapitalistischen Realismus und Hip-Hop

In der mittelalterlichen Scholastik war es üblich, in den in unregelmäßigen Abständen stattfindenden disputationes, in klar verteilten Rollen altbekannte Probleme zu diskutieren. Erklärter Zweck war dabei weniger, neues Wissen zu generieren, denn die Repetition bekannter Positionen und die Ausbildung rhetorischer Fähigkeiten, so dass häufig scholastische Summen (der disputationes) nicht nur die Thesen des jeweiligen Autors, sondern gleich eine wahre Bibliothek an Zitaten und Positionen anderer Autoren darstellen. Wer sich heute mit Adornos Konzept der Kulturindustrie auseinandersetzt, kann sehr leicht zu der Einsicht kommen, in genau diesem Sinne lediglich eine scholastische Übung vorzuführen. Seit der Veröffentlichung von Dialektik der Aufklärung, in der bekanntermaßen und prominent der Kulturindustrie ein ganzes Kapitel gewidmet ist, scheint längst alles Sag- und Denkbare – in affirmatorischer wie kritischer Absicht – vorgebracht zu sein, so dass recht eigentlich wenig mehr möglich ist, als die Summen dieser Auseinandersetzungen zu ziehen.

Schon allein um der Versuchung eines solchen postmodernen Adorno-Scholastizismus zu entgehen, ist nicht nur Anspruch, sondern auch Ausgangspunkt der hier vorgebrachten Überlegung, die Annahme, dass jene Formation, die mit ‚Kulturindustrie‘ bezeichnet ist, klar und ohne Rettung der Vergangenheit angehört, das Kulturindustriekapitel also in seiner Analyse keinerlei Mehrwert für ein Verständnis gegenwärtiger Strukturen aufweist. Daraus folgt freilich zum einen, dass es mir nicht darum geht, das Kulturindustriekapitel einfach auf die ein oder andere Art (unter heimlichem Wiederholungszwang stehend) durcharbeiten zu wollen, als wäre es ein nie zu behebendes Trauma geisteswissenschaftlicher Theoriebildung; vielmehr gilt es, im Nachvollzug der Konzeption von Kulturindustrie als einer Vergangenheit, jene Momente zu fassen, in deren Licht die Gegenwart uns deutlich erscheint und also der Analyse zugänglich wird. Das bedeutet aber zum anderen, dass, auch wenn Adorno und Horkheimer kategorisch keine Aktualität (kein ‚Mehrwert‘) zugestanden ist, ihnen dennoch, um in dieser Metaphorik zu bleiben, ein Gebrauchswert zukommt, da mittels ihrer Analysearbeit ein vergangener Zustand sich ausmachen lässt, durch den überhaupt erst das Gegenwärtige unseres Prädikaments in die Denkbarkeit tritt.

Kulturindustrie, kurz umrissener Massenbetrug der Aufklärung

Durchaus ist hier eine untergründig-Benjamin’sche Teleologie mit im Spiel: Die Gegenwart erkennt sich, folgt man Benjamin, in den Strukturen der Vergangenheit, das Vergangene aber wird sich selbst in der Selbsterkenntnis des Gegenwärtigen gegenwärtig.[1]Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, 695. Eine Gegenwart ist prozessual verbunden mit ihrer Vergangenheit, da das, was gegenwärtig ist, vom Vergangenen angesprochen wird, die Gegenwart sich in der Vergangenheit erkennt. Dadurch aber kommt das Vergangene zwar zu seinem Recht, doch es bleibt nicht unberührter Spiegel, sondern tritt als „wahres Bild“ in den Raum seiner Erlösung, wird also von der Gegenwart besser erkannt, als es sich selbst verstand.[2]Ebd.

Dieser Gedanke zur Geschichte ist nun nicht nur Leitstern meines Vorschlags einer Vergegenwärtigung der Konzeption von Kulturindustrie als Vergangenes, sondern informiert im Grunde auch das Projekt, das Adorno und Horkheimer im Kulturindustriekapitel verfolgen. Denn die Kulturindustrie wird darin nicht positiv als Gegenstand eigenen Rechts beschrieben, sondern denkbar wird sie nur im Gegensatz zur autonomen Kunst des bürgerlichen Zeitalters. Dies realisiert sich schon auf sprachlicher Ebene: Es wird von der Kunst nur im Modus des Präteritums gesprochen, während der Kulturindustrie auch sprachlich das Präsens zukommt[3]etwa: „Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht. […] Auch die Kunstwerke bestanden nicht in sexuellen Exhibitionen.“ Adorno und Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, 148. – der Vergangenheit zugerechnet ist. Die Kulturindustrie, die das Gegenwärtige für Adorno und Horkheimer darstellt, ist also erst beschreibbar in der Vergangenheit der bürgerlichen Kunst, die selbst nur zur Erscheinung kommt in ihrer Negation durch die Kulturindustrie.[4]Dies ist durchaus auch in aller geschichtsphilosophischer Konsequenz zu verstehen. Erst in der wechselseitigen Negation werden die Kunst des bürgerlichen Zeitalters und die Kulturindustrie einander und damit uns erkennbar. Vgl. dazu auch Bürger, Theorie der Avantgarde, 26ff. Weiter gewendet heißt dies, dass, ganz im Sinne der oben angedeuteten geschichtsphilosophischen Grundlegung, die Kulturindustrie nicht einfache Negation der bürgerlichen Kunst ist, sondern diesem selbst schon als mögliche Zukunft eingeschrieben, also das bürgerliche Kunstwerk und das Produkt kulturindustrieller Verarbeitung nicht separiert, sondern in prozessualer Relation zu denken sind und zugleich erst in einer solchen Verbindung überhaupt denkbar werden.

Bürgerliche Kunst (das heißt also: die Kunst in der Periode des sich entwickelnden Kapitalismus) definiert einen Bereich außerhalb des Gesellschaftlichen, der sich dem kapitalistischen Nominalismus der Zweckrationalität entzieht und dadurch eine Sphäre eigenen Rechts darstellt. Der Regel- und Formlosigkeit der autonomen Kunst wird eine emanzipatorische Kraft zugeschrieben, da sie nicht einfach nur von der repressiven und funktionalisierenden Regelhaftigkeit der Gesellschaft und der gesellschaftlich organisierten Subjektivität suspendiert, sondern sich gleichsam auf diese überträgt. In ihrer Autonomie stürzt Kunst die totalisierende Ordnung von Gesellschaft und Subjekt ins Chaos, da deren Anderes hergestellt wird, der Moment der Befreiung, in dem „[die] normative Praxis in ein ästhetisches Spiel“[5]Menke, Kraft der Kunst, 119. verwandelt wird. Das heißt: Horkheimer und Adorno bestimmen das Spiel des Ästhetischen als einen Vorgang der Selbstüberschreitung von Subjekt und Gesellschaft, da hier das Subjekt in einen produktiven Zusammenhang gerissen wird, in dem keine Regelhaftigkeit Geltung beanspruchen kann, sondern das Ziel der Produktion in Kontingenz nicht mehr ist als eben dieser formlose (und darum selbstgenügsame) Vorgang des ästhetischen Spiels.[6]Vgl. dazu auch: Adorno, Ästhetische Theorie, 334ff.

Bekanntermaßen ist dies wiederum nicht naiv, sondern dialektisch zu denken: Das bürgerliche Kunstwerk bedeutet zwar eine Öffnung oder eher: Entsetzung der zweckrationalen, kapitalistischen Ordnung, wie aber das Produkt der Kulturindustrie auch, steht die bürgerliche Kunst dennoch innerhalb des Kapitalismus, ist von diesem affiziert; dies verbindet freilich bürgerliche Kunst und spätkapitalistische Kulturindustrie: beide sind Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse des Kapitalismus und nicht ohne oder gegen diese zu denken. Die Autonomie der bürgerlichen Kunst ist so erkauft mit dem Ausschluss des Proletariats aus dem Kulturbetrieb, der Scheidung von autonomer und Massenkunst. Das Subjekt der autonomen Kunst ist zwar als von der Verwertung befreites konstituiert, dem aber zugleich die Befreiung versagt bleibt, da in der Freiheit ihre noch nicht erfolgte Verwirklichung, die sich damit denkbar hält, eingeschlossen ist. Die Massenkultur, die die Kunst des bürgerlichen Zeitalters „als Schatten begleitet“[7]Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, 143., ist daher auch nicht abzuwerten, sondern in ihrer Exzentrik (Adorno denkt an den Zirkus, das Panoptikum oder auch das Bordell)[8]Ebd., 144. ebenso Moment dieser auch im Kulturellen stehenden Spaltung der kapitalistischen Gesellschaftsformation in Bürgertum und Proletariat, die nicht einfach zu versöhnen, sondern in einer neuen Allgemeinheit, in der das Ästhetische zur neuen Logik des Gesellschaftlichen wird, aufzuheben ist.

Das Neue der Kulturindustrie liegt so auch gar nicht darin, dass Kunstwerke zu handelbaren Gegenständen, zu Waren würden. Auch das autonome Kunstwerk ist Ware, sofern es in wirtschaftlichen Kreisläufen steht, verkauft oder gar im Auftrag eines Mäzens hergestellt wurde. Jedoch ist sein Tauschwert an seinen Gebrauchswert, der ja gerade darin besteht, dass es zu nichts zu gebrauchen ist, gebunden. Darum also wird das Kunstwerk unter den Bedingungen des frühen Kapitalismus erworben, weil es das rezipierende Subjekt vom Marktgeschehen befreit.[9]Zum Funktionswandel von Kunst vgl. auch Bürger, Theorie der Avantgarde, 63ff. Oder auch: Fontius, „Ästhetik contra Technologie“, 124ff. In der Kulturindustrie dagegen verabsolutiert sich der Tauschwert; man konsumiert das Ästhetische nicht mehr um seiner autonomen Erfahrung selbst willen (dies wäre eben die Realisierung des Gebrauchswerts), sondern um beispielsweise einen Prestigegewinn zu erhalten, Spaß zu haben, sich zu erholen, etc. Das heißt: Das Produkt der Kulturindustrie wird konsumiert zur Realisierung eines dem Artefakt externen, außer-ästhetischen Nutzen: Es geht nicht um eine entsetzende Erfahrung, die von der kapitalistischen Zweckrationalität befreit, sondern diese Zweckrationalität wird gerade im Konsum des Artefakts der Kulturindustrie reproduziert.[10]Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, 141ff. Das amerikanische Englisch hat den Vorteil dies schonungslos an die Oberfläche zu befördern, wenn etwa ein Museumsbesuch als potentielle recreational activity bezeichnet ist, als Aktivität also, die die Leistungsfähigkeit des Individuums etwa durch Kunstgenuss wieder herzustellen in der Lage ist.[11]Ebd., 145. Hier, genauso wie bei der Rezeption von Ästhetischem aus Spaß, aus Prestigegewinn, etc., steht nicht mehr die entsetzende Erfahrung des Ästhetischen im Zentrum der Rezeption, sondern es wird konsumiert zum Zwecke der Realisierung eines Wertes, der zwar durchs Ästhetische zu erreichen aber nicht mit der entsetzenden Erfahrung wesensidentisch ist, wodurch diese freilich nicht mehr entsetzt, sondern in den Zweckrationalismus der kapitalistischen Gesellschaft sich eingebunden findet.

Damit aber, so die Wendung von Adorno und Horkheimer, wird der Warenwert des Kunstwerks zu dessen Wesentlichen, mit der Konsequenz, dass nicht nur das Kunstwerk als Kunstwerk keine Existenz mehr beanspruchen kann, sondern selbst die Warenform ‚Kunstwerk‘ aufgelöst wird:

Was man Gebrauchswert in der Rezeption der Kulturgüter nennen könnte, wird durch den Tauschwert ersetzt, anstelle des Genusses tritt Dabeisein und Bescheidwissen, Prestigegewinn anstelle der Kennerschaft. […] Alles wird unter dem Aspekt wahrgenommen, daß es zu etwas anderem dienen kann, wie vage dies andere auch im Blick steht. Alles hat nur Wert, sofern man es eintauschen kann, nicht sofern es selbst etwas ist. Der Gebrauchswert der Kunst, ihr Sein, gilt ihnen als Fetisch, und der Fetisch, ihre gesellschaftliche Schätzung, die sie als Rang des Kunstwerkes verkennen, wird zu ihrem einzigen Gebrauchswert, der einzigen Qualität, die sie genießen. So zerfällt der Warencharakter der Kunst, indem er sich vollends realisiert. Sie ist eine Warengattung, zugerichtet, erfaßt, der industriellen Produktion angeglichen, fugibel, aber die Warengattung Kunst, die davon lebte, verkauft zu werden und doch unverkäuflich zu sein, wird ganz zum gleißnerisch Unverkäuflichen, sobald das Geschäft nicht mehr bloß ihre Absicht, sondern ihr einziges Prinzip ist.[12]Ebd., 167.

Gehen wir diese Überlegung systematisch durch: Wie nun klar sein sollte, ist der Gebrauchswert des Werks bürgerlicher Kunst für Adorno und Horkheimer darin begründet, dass es zu nichts zu gebrauchen ist, also es nichts bietet als die entsetzende Erfahrung ästhetischer Autonomie, das heißt: es weist keinen außerästhetischen Nutzen auf. In der Aneignung der Sphäre der Kultur durchs Kapital nun wird die Kunst der Zweckrationalität des Marktes und der Massenproduktion unterworfen. Die erzeugten Artefakte dienen folglich der Verwertung, als Waren sind sie materialisierter Ausdruck der kapitalistischen Arbeitsprozesse, in denen sie (ent)stehen. Wichtiger aber noch: Sie werden zurückgebunden auf einen ihnen äußerlichen Zweck, der aber gerade nicht als Ausdruck des Anwesens des eigentlich kunstfremden Kapitals im Ästhetischen, sondern als ihnen wesentlich erscheint. Die ästhetische Erfahrung, die den Gebrauchswert des Kunstwerks darstellte und die für nichts stand als für sich selbst, also sich jeder Zurichtung (jedem Nominalismus könnte man auch sagen) der kapitalistischen Gesellschaft entzog, tritt in den Hintergrund zugunsten des Tauschwerts des Kunstwerks, der seine Warenform erst ermöglicht.[13]Ebd., 144. Damit aber stoßen wir auf einen Komplex, den Adorno und Horkheimer selbst als „Massenbetrug“[14]Ebd., 128. charakterisieren: Die kulturindustrielle Verarbeitung verspricht einen allgemeinen Genuss von Kultur jenseits der notwendigerweise komplexen und eben nicht allgemein zugänglichen Erfahrung des Ästhetischen in seiner Autonomie.[15]Wie schon erwähnt: Adorno und Horkheimer betonen, dass die bürgerliche Kunst notwendig die arbeitenden Massen von der Erfahrung des Ästhetischen ausschließt. Vgl. Ebd., 143. Doch wird dadurch in der ‚Kulturindustrialisierung‘ gerade jenes Moment ästhetischer Befreiung aufgelöst und durch die Logik von Massenkonsum und Massenproduktion ersetzt, die eigentlich dem Kunstwerk wesentlich war, der Moment einer Entsetzung vom gesellschaftlichen Nominalismus, und damit „das, was mehr wäre als es selbst“ hat keinen Platz mehr im Produkt kulturindustrieller Verfertigung. Anstatt also tatsächlich unterhalten, vom alltäglichen Zwang in der kapitalistischen Gesellschaft also zumindest zeitweilig befreit zu sein, erfährt der Rezipient, folgen wir Adorno und Horkheimer, in der Kulturindustrie entgegen dem Versprochenen daher weder einen Moment des noch nicht realisierten Außerkapitalistischen, noch die Negativität der Versagung der Verwirklichung der Befreiung, sondern nur eine Wiederholung seines gesellschaftlichen Seins. An die Stelle der Emanzipation im Ästhetischen tritt also, dies wäre die Generallinie der Kritik Adornos, die Normierung und Unterwerfung des Subjekts.[16]Ebd., 167ff.

Voraussetzung dieser Überlegung Adornos und Horkheimers ist indes eine in manchen kritischen Theorietraditionen[17]In ihrem 1999 erschienenen Werk Le nouvel Ésprit du Capitalisme (Der neue Geist des Kapitalismus) bezeichnen die Sozialwissenschaftler Luc Boltanski und Ève Chiapello eine solche Ansicht, wie sich in den Studentenprotesten 1968 hegemonialisierte Ansicht als Künstlerkritik. Kennzeichnend für den neoliberalen Kapitalismus sei dagegen, dass die Künstlerkritik in die ideologischen Maschinen des Kapitals endogenisiert ist. Vgl. Boltanski und Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, 517ff. vielleicht naturalisierte aber an sich keineswegs selbstverständliche Annahme eines Gegensatzes zwischen dem Zugriff des Marktes auf das Individuum und dessen Freiheit. Nur wenn der Kapitalismus in Gegensatz zur Autonomie der Kunst gesetzt wird, also als Ort der regelhaften Nominalisierung, kann das Ästhetische in Widerstreit zu ihm gelesen werden. Die Kommodifizierung des Ästhetischen in der Kulturindustrie kann es in dieser Logik nur darum in der Substanz verändern, weil die substantielle Freiheit der ästhetischen Erfahrung eine Integration in den Kapitalismus per se ausschließt, besteht doch, wie gezeigt, Adorno und Horkheimers Punkt gerade darin, dass der ästhetischen Erfahrung wesentlich die Befreiung vom Zugriff kapitalistischer Rationalität ist. Kulturindustrie kann also, so könnte man simplifiziert sagen, zwar viele Versprechungen machen, sie erweist sich aber als unfähig, das Versprochene einzulösen, statt das Ästhetische ins Leben der Massen einzuführen, produziert sie nur Unauthentisches und reproduziert die totalisierte, kapitalistische Entfremdungserfahrung statt die Erfahrung einer Entsetzung vom gesellschaftlichen Nominalismus zu sozialisieren.

Kommodifizierte Authentizität: Hip-Hop

Unter den Bedingungen des neoliberalen Kapitalismus unserer Gegenwart ist diese Analyse keinesfalls mehr zu halten. Es ist nachgerade Kennzeichen des neoliberalen Kapitalismus, nicht mehr in Gegensatz zur autonomen Erfahrung des Individuums zu stehen, es in der Standardisierung zu entfremden, sondern vielmehr integriert er das Individuum, seine Erfahrung und seine autonome Selbstbetätigung.[18]Dean, Democracy and other Neoliberal Fairytales, 66f. Die Werte und Vorstellungen der Alternativkultur von 1968 sind, wie etwa Ulrich Bröckling schreibt, zum neuen Verfahrenswesen des Kapitalismus in der Phase der Globalisierung geworden, Phantasie, Kreativität und Individualität zu relevanten Faktoren der Kapitalproduktion.[19]Bröckling, Das unternehmerische Selbst, 260. Dies gilt auch und gerade fürs Ästhetische: Nicht mehr bedroht eine außerästhetische Macht in der Kulturindustrie die Freiheit ästhetischer Erfahrung in der Auflösung der radikalen Negativität, sondern das in den Markt integrierte Ästhetische hat die Marktlogik selbst wiederum internalisiert. Die Strukturlogik der Ware ist verinnerlicht zur Strukturlogik des Ästhetischen selbst geworden.

Um dies nachzuvollziehen, schlage ich einen kurzen Umweg, der durchaus kein Abstecher vom rechten Weg sein soll, vor, nämlich über den Hip-Hop, handelt es sich doch hier um eine globale Massenkultur, die, gerade weil sie weltweit Abermillionen Anhänger, Rezipienten und Produzenten sowie enorme Absatzzahlen vorweisen kann, besonders beredter Ausdruck gegenwärtiger Tendenzen im Ästhetischen ist. Besonders von Interesse für unsere Frage ist die Authentizität von Kunstwerk und Künstler, der als realness im Hip-Hop ein hoher Stellenwert zukommt:

Hip-hop [sic] can balance large sales and mainstream success with a carefully constructed authentic self. By organizing the expressions used in hip-hop authenticity discourse into semantic dimensions, identity talk can be understood as structured meaningful, and a way of comprehending central ways of hip-hop culture from a native´s point of view.[20]McLeod, „The Authenticity within Hip-Hop and Other Cultures Threatened with Assimillation“, 174.

Die Tatsache, dass realness eine so zentrale Kategorie für den HipHop darstellt, muss überraschen, ist doch Rap gerade nicht Ausdruck ästhetischer Autonomie, in der sich das frei gestaltende Individuum finden kann, sondern: tracks (einzelne Rap-Stücke) sind kollektiv erzeugt, die beats werden zumeist von anderen hergestellt als die lyrics, kurz: der Künstler im Hip-Hop ist niemals genialer Erzeuger sondern allenfalls besonders herausgestellter Kollaborateur in einem kollektiven Produktionsprozess.[21]Vgl.: Klein, Is this real, 91. Der Vortragende, unabhängig von seiner Position im mainstream oder underground,[22]Hess, „The Rap Career“, 644ff. agiert dabei, gerade in Zeiten des gangsta-rap, als „Prototyp des Kleinunternehmers [, der] die kapitalistische Verwertungslogik auf die Spitze treibt“[23]Loh, „Spiel nicht mit Schmuddelkindern“, 31., indem er es unternimmt, sich, seine Musik, seine Produkte möglichst gut zu verkaufen und diese Form der Kommodifizierung häufig in seinen Texten affirmativ ausstellt, wie etwa 50 Cent mit Get Rich Or Die Tryin‘.[24]Hess, „The Rap Career“, 637. Und doch wird vom Rappenden (und allen, die an der Hip-Hop-Kultur beteiligt sind[25]Klein, Is this real, 35ff.) Authentizität erwartet; regelmäßig wird so von Rap-Künstlern die eigene realness unterstrichen oder die verfeindeter Rapper angezweifelt, sehr häufig mit direkten Auswirkungen auf den Plattenverkauf.

Indes wäre es wesentlich zu kurz gegriffen, Authentizität aus diesem Grund lediglich für einen Marketing-Faktor im Rap-Geschäft zu halten, wie dies in weiten Teilen der Pop-Kulturindustrie üblich ist. Künstleridentitäten sind hier häufig für den Markt maßgeschneiderte Rollen, eine Wesensidentität der Rollen mit der Künstlerpersönlichkeit wird aber nicht angenommen, so dass es, um ein vielleicht sehr naheliegendes Beispiel zu nennen, keinen Widerspruch erzeugt, wenn sich Bruce Springsteen als Teil der weißen Arbeiterklasse der USA inszeniert um privat das Leben eines Mitglieds der oberen Zehntausend zu führen. In der Popkultur wird, mit den Worten der Erzähltheorie gesprochen, klar zwischen intendiertem Autor und realem Kulturschaffenden unterschieden.[26]Rodman, „Race…and Other Four Letter Words“, 186. Der Rapper dagegen identifiziert sich mit dem, was er erzählt, die Differenz zwischen erzähltem Ich, erzählendem Ich und Autor ist gewissermaßen, auch und gerade für die Rezeptionsseite, aufgehoben. Ein markanter Beleg hierfür ist die kritische Wahrnehmung von gangsta-rap in gewissen Teilen des Feuilletons und der bürgerlichen Politik, die gemeinhin so argumentieren, dass diese Kunstform gerade deshalb so gefährlich sei, da die Rappenden das, was sie vortragen, selbst sind. Während es so beispielsweise recht unproblematisch erscheint (und unkommentiert bleibt), wenn etwa Eric Clapton davon singt, dass er den Sheriff erschossen habe, wird ein Rapper wie Eminem mit den Narrativen, die er erschafft, gleichgesetzt:

He [Eminem] doesn´t depict antisocial violence in his music, the argument goes, he personifies it in compelling fashion through the use of first-person narratives.[27]Ebd., 183.

Es wird hier also festgestellt, dass die Narration des Rappers eine Selbstinszenierung sei, Eminem, beispielsweise, konstituiere im Rap seine eigene Identität.

Unabhängig von allen (verfehlten) zensorischen Begehren, die oft genug mit dieser Annahme verbunden sind, beschreibt sie dennoch eine Praxis des Raps (und der Hip-Hop-Kultur im allgemeinen) treffend: Rap, entstanden als Medium derjenigen, die von kultureller Produktion und Repräsentation ausgeschlossen blieben, war eine Möglichkeit der Konstruktion einer eigenen, individuellen wie kulturellen Identität; es gilt sich im und durch Rap zu behaupten, mit einer Identität auszustatten und sich im wahrsten Sinne des Wortes gut zu verkaufen.[28]McLeod, „Authenticity within Hip-Hop and Other Cultures Threatened with Assimilation“, 173. Und: Judy, „On the Question of Nigga Authenticity“, 112ff. Die Konstruktion einer als authentisch wahrgenommenen Künstleridentität greift im Rap so vom Ökonomischen ins Ästhetische über – die Narrative des Rappers müssen sich zu einer konsistenten, verwertbaren, also: authentischen Identität, bspw. als gangsta fügen –, wodurch aber das Ästhetische wiederum zum Strukturprinzip der Identität wird. Ob nun Polit-Rap, gangsta-rap, oldschool, etc.: In allen Varianten des Raps ist die Notwendigkeit zur Identitätsbildung über und durch das Erzählen präsent und betrifft die ganze Künstlerperson. „The question of hip hop [sic] authenticity relates to both musical style and performer identity.“[29]Hess, „The Rap Career“, 643. Musik, Lebensgeschichte, Auftreten in der Öffentlichkeit, ja mitunter sogar ökonomische Entscheidungen bilden alle nur Momente eines Gesamtnarrativs der Künstleridentität, die sich in den Raptexten zum Ausdruck bringt, und dadurch erst herstellt.

Der deutsche Rapper Haftbefehl, zum Beispiel, benutzt Soziolekte migrantischer und prekär lebender Jugendlicher in seinen Texten: Russisch, Kurdisch, Türkisch, deutsche Soziolekte gehen organisch ineinander über, bilden eine Sprache, die es nicht zuvor gab sondern im Dichten von Haftbefehl erdichtet wird. Diese richtet sich selbstbewusst gegen das Diktat der Hochkultur und des korrekten, offiziellen Deutsch, denn wer nur die Hochsprache kennt und verwendet, versteht nicht, was Haftbefehl sagt und wird somit in dem Maße zum Ausgeschlossenen und Illiteraten in dem Jugendliche aus prekären Verhältnissen von Hochsprache und Hochkultur ausgeschlossen werden. Diese Umkehrung der hegemonialen Herrschaftsverhältnisse und natürlich die Vorstellungen, die Haftbefehl kommuniziert (etwa das Dasein als reicher Gangster-Boss) entspricht natürlich einem gewissen dissidenten und subalternen Sehnen gegen bürgerliche und hochkulturelle Normen.[30]Loh, „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, 96f. Doch können Haftbefehls Werke diesen nur deswegen einen gewissen identitären Bezugspunkt anbieten, weil er sich selbst mit der erdichteten Identität ausstattet und (erfolgreich) verkauft. Die Ebene der Kunst (besser: der kulturindustriellen Produktion) überschreitet sich selbst und erstreckt sich über das ganze Leben des Produzenten, der gewissermaßen Teil des eigenen Werks wird.[31]Schuller, „Das Literarische in Zeiten von PEGIDA“, 246ff. Das Narrativ der eigenen Biographie, Verhältnisse zu anderen Rappern, das soziale Verhalten, der Kleidungsstil, usw. werden der (kontinuierlichen) Narration von Identität im Rap angepasst und so der Vermarktung zugeführt.

Dieser Vorgang findet in allen Spielarten des Raps statt. Nicht nur das einzelne ‚Werk‘ wird zur Ware, sondern die gesamte Identität und das Leben des Rappers wird im Rap der Struktur des Raps unterworfen. Die Zweckrationalität kapitalistischer Vermarktung affiziert das Ästhetische, das auf diese Weise kommodifizierte Ästhetische organisiert das Leben, die Identität, ja sogar Sprache des betreffenden Produzenten. Dies betrifft nicht nur die Künstlerindividuen: Hip-Hop ist eine partizipative Kultur, in der von allen eine entsprechende partizipierende Integration in die Lebenswelt erwartet wird: Wer in der Community anerkannt sein will muss Sprachcodes, Verhaltensweisen, Kleidungsstil etc. reproduzieren, also sein Leben nach der kommodifizierten Ästhetik ausrichten, um als „real“ zu gelten, also Authentizität beanspruchen zu können.[32]Klein, Is this real, 31ff. Authentizität und Identität sind an die mimetische Zirkulation eines in der Verwertungslogik aufgegangenen Ästhetischen gebunden.

Authenticity, then, is produced as the value everybody wants precisely because of the displacement of political economy with economy; it is not engendered by virtue of its relation to that which has to be protected from commodification […]. Authenticity is hype, a hypercommodified affect, whose circulation has made hip-hop [sic] global.[33]Judy, „On the Question of Nigga Authenticity“, 112.

Kunst und Dasein sind im Hip-Hop und Rap vom Kapital subsumiert und gerade deswegen ineinander integriert. Unter den Vorzeichen kapitalistischer Zweckrationalität wird das Leben des Individuums zum ununterscheidbaren Moment ästhetischer Produktion, ja: Leben und Kunst sind in-eins gesetzt unter dem Vorzeichen der absolut gewordenen Warenform.

Jenseits der Kulturindustrie

Im Hip-Hop konstituiert sich das Subjekt des Rappenden also nicht außerhalb und jenseits der Sphäre des Marktes, im künstlerischen Handeln etwa, das erst nachträglich angeeignet werden würde, sondern die Kommodifizierung ist nicht vom Akt der künstlerischen Selbstkonstitution zu trennen. Man kann also sagen: Der Markt ist hier kein externer Faktor, der dem Dichten des Rappenden feindlich entgegenstehen würde, sondern vielmehr stehen künstlerischer Ausdruck und Markt in einer intimen Beziehung: Dichtung und Leben werden ineinander aufgehoben aber nur in der Sphäre der steten Selbstverwertung. Das heißt, die Strukturlogik des Kapitals, die gerade in der ununterbrochenen Wiederholung des Akts der Verwertung besteht,[34]Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 430ff. wird zum internen Antrieb des Ästhetischen und des Subjekts zugleich.

Dies kann man engführen mit jenen gegenwärtigen Tendenzen, die Mark Fisher in seinem Essay Capitalist Realism als ‚kapitalistischen Realismus‘ bezeichnet:

Work and life become inseparable. Capital follows you when you dream. Time ceases to be linear, becomes chaotic, broken down into punctiform divisions.[35]Fisher, Capitalist Realism, 34.

In der Gegenwart des globalisierten Spätkapitalismus expandiert das Kapital nicht mehr in den Raum (die lokale Extension des Planeten ist ja bereits erschlossen), sondern durch die Intensivierung der Zirkulation von Waren und damit durch die intensive Zurichtung des kapitalistischen Innenraums der Gesellschaft.[36]Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 445. Privates Zusammenleben, Kunst und Kultur werden der Kommodifizierung unterworfen, allerdings nicht mehr nur im Sinne eines Vorgangs der Kolonisierung, also der abstrakten Unterwerfung unter ein Außen, sondern sie werden als Strukturlogik des Individuellen selbst übernommen.[37]Hardt und Negri, Empire, 264ff. Diese Internalisierung des gesamten Lebens in die Sphäre des Kapitals resultiert in einer Partikularisierung der Zeit und der autonomen Erfahrung des Individuums selbst. In den Maschinen der Ausbeutung in Zeiten des industriellen Kapitalismus war dem Individuum eine gewisse Linearität der lebensgeschichtlichen Erfahrung garantiert: Phasen der Arbeit und Nicht-Arbeit (Rente, Freizeit) waren vertraglich festgelegt, der Einzelne blieb in der Regel einem oder einigen wenigen Kapitalisten verpflichtet, konnte seine Karriere recht klar planen.[38]Fisher, Capitalist Realism, 33ff. Genau dies ist unter den Bedingungen des gegenwärtigen Kapitalismus nicht mehr möglich, die Grenzen von Arbeit und Nicht-Arbeit sind aufgehoben, an die Stelle von linearen, planbaren Arbeitsverhältnissen sind Gelegenheitsjobs und Projektarbeit getreten, der Einzelne muss ununterbrochen sich selbst verwerten, steht jederzeit unter dem Zugriff des Marktes, der damit aber nicht mehr als Erfahrung eines externen Zwangs erscheint, sondern als das strukturierende Prinzip des Lebens selbst.[39]Ebd.

Allgemeiner formuliert: Die Abstraktion als Logik der Kapitalakkumulation ist zum eigentlichen Realitätsprinzip der symbolischen Ordnung in unserer Gegenwart geworden, die um die leere Reproduktion um ihrer selbst willen kreist und gerade darum kein Jenseits, kein Außen mehr kennt, sondern sich als alternativloser Weltinnenraum (re)präsentiert. Die Kommodifizierung hat sich eingerichtet in allem, nichts ist mehr der Warenform äußerlich, sondern die Warenlogik allem innerlich.

Gilt dies, müssen wir aber den Zusammenhang von Kunst und Kulturindustrie unter diesen Voraussetzungen neu denken: Wie wir gesehen haben, nannten Adorno und Horkheimer das Produkt der Kulturindustrie eine paradoxe Ware: Das Wesentlichen des Ästhetischen, ihr Tauschwert, ist in Adorno und Horkheimers Augen eben in der Erfahrung ästhetischer Autonomie begründet, also gerade darin, keinen Wert zu haben und mehr: jenseits und außerhalb des Marktes zu stehen. Deswegen hat das Kunstwerk einen Wert, weil es wertlos ist. Da kulturindustrielle Produktion diese Paradoxie nicht aufweisen kann, sondern das Artefakt mit einem außerästhetischen Nutzen – einem Gebrauchswert – auflädt, kann das Produkt kulturindustrieller Verfertigung in den kritischen Augen der kritischen Theoretiker im Grunde keinen wahren Warenwert mehr aufweisen, weswegen es letztlich mit der Reklame engzuführen ist:

Kultur ist eine paradoxe Ware. Sie steht völlig unterm Tauschgesetz, daß sie nicht mehr getauscht wird; sie geht so blind im Gebrauch auf, daß man sie nicht mehr gebrauchen kann. Daher verschmilzt sie mit der Reklame.[40]Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, 170f.

Die Kulturindustrie ist demzufolge nicht Industrie eigenen Rechts, sie ist Zusatz der industriellen Produktion, in der keine Werte geschaffen, sondern Reproduktion und Distribution von Waren und Dienstleistungen organisiert wird.[41]Vgl.: Ebd. 170ff.

Dies kann man als Ausdruck einer letzten Hoffnung verstehen: Wenn nämlich gilt, dass die Internalisierung der Kunst in die Sphäre der Verwertung eben den Gehalt des Ästhetischen liquidiert, ist Kunst niemals vollständig als Kunst ins Kapital integrierbar. Die Erfahrung des Ästhetischen wird in der Kulturindustrie, das ist das Paradoxe an ihr, in der Warenform selbst aufgelöst, weswegen sie zumindest in ihrem Fehlen als Leerstelle offen bleibt. Das autonome Kunstwerk ist zwar fetischisiert, materialisierte Ideologie, da hier ein An-und-Für-sich-Sein behauptet wird, das nicht statt hat, jedoch entragt der Kunstfetisch dem Warenfetisch, da er radikalisiert wird: „Indem Kunst den Bann der Realität wiederholt, ihn zur imago sublimiert, befreit sie zugleich tendenziell von ihm.“[42]Adorno, Ästhetische Theorie, 196. Aus diesem Grund kann Kunst als Kunst Boden einer Ideologiekritik an der Gesellschaft der Kulturindustrie sein: In der Kulturindustrie wird der Verblendungszusammenhang totalisiert, da das entfremdete Subjekt die Gewalt, die die kapitalistische Gesellschaft auszeichnet, nicht mehr erfährt als äußerliche Grenze und Schmerz der Entsagung, sondern andersherum in dem Verlangen nach Artefakten der Kulturindustrie selbst die Entfremdung, sie als Genuss missverstehend, begehrt.[43]Klasen, „Verblendungsspektakel“, 169ff. Was der Kunst wesenhaft war, nämlich von dem Zusammenhang der Entfremdung freizusetzen und so eine Erfahrung der Befreiung in der Unfreiheit zu ermöglichen, wird verunmöglicht, die einzige Perspektive einer kritischen Theorie bliebe daher, in den gelungen Kunstwerken nach eben jenen Momenten des wesenhaft Ästhetischen zu suchen, das sich noch zum verblendeten Zusammenhang von naturalisierter Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft und einen totalen Warenfetisch widersetzt.[44]Ebd.

Diese Hoffnung ist in unserer Gegenwart erledigt. Das Ästhetische hört auf, paradoxe Ware zu sein, und nimmt komplett Warencharakter an, Produktion und Rezeption werden, wie gezeigt, selbst warenförmig. Das Ästhetische wird, reell unters Kapital subsumiert, diesem gleichzeitig und kann damit keinen Widerspruch mehr erzeugen, sondern folgt – so wäre kapitalistischer Realismus zu lesen – in seinem Wesen der Warenform selbst. In der ästhetischen Erfahrung konstituiert sich eine aisthesis kapitalistischer Wirklichkeit, die gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass jeder gesellschaftliche Zusammenhang von der Warenlogik des Kapitals durchdrungen ist. Kunst und Nicht-Kunst sind so aufgehoben in der allgemeinen Kommodifizierung. In diesem Sinne findet in der Kommodifizierung der Kunst ihre Vergesellschaftung, wenn auch unter kapitalistischen Vorzeichen, statt.

Das aber berührt eine Grenze, an der das Aufgeben der Hoffnung in utopisches Sehnen umschlagen mag: Der Kapitalismus löst das Ästhetische ganz auf, aber indem er das Ästhetische zum Moment der Kapitalakkumulation, also dem allgemeingesellschaftlichen Prinzip im Weltinnenraum des Kapitals macht, wird sie denkbar als von der Kapitalakkumulation befreite, also als gesellschaftlicher Vorgang kollektiver, ästhetischer, also selbstgenügsamer Produktion. Diese Grenze, also die Ermöglichung einer befreienden, autonomen Ästhetik als Selbstausdruck befreiter Subjekte, kann der Kapitalismus in der Kunst berühren, er kann sie aber freilich nicht transzendieren, da er dann aufhören müsste Kapitalismus zu sein, also jene Logik der Akkumulation, die jetzt die Kunst durchströmt und die ganze Gesellschaft mit ihr, durch die Logik der Emanzipation ersetzen müsste.

Nicht Theodor Adorno, dem ein solches Ansinnen wohl barbarischer Graus ikonoklastischer Begehrlichkeiten wäre, sondern der Kommunist und wesentlich entschiedenere Dialektiker Bert Brecht fasst diese Bewegung in Worte: „Die Wirklichkeit […] kommt an den Punkt, wo das einzige Hindernis für den Fortschritt des Kapitalismus der Kapitalismus ist.“[45]Brecht, Der Dreigroschenprozeß, 204.

Aus einem ästhetischen Problem, nämlich der Problematisierung der Ästhetik, wird durch die Kapitalisierung des Ästhetischen, die jede Rückkehr zum und auch jede Erinnerung an das autonome Kunstwerk für immer ausgeschlossen hat, ein soziales und politisches: In der warenförmigen Vergesellschaftung der Kunst wird nicht nur die Herstellung der Kunst als autonomes, ästhetisches Produktionsfeld menschlicher Subjekte denkbar, sondern es wird auch deutlich, dass diese nur erreicht werden kann, wenn das expansive Spiel des Kapitals, das die Kunst betroffen hat, durch eine gänzlich andere, revolutionäre Logik ersetzt werden würde. Indes nötigt dies nicht zu einem utopischen Bezug auf ein Außen, das herzustellen wäre, sondern dieser revolutionäre Moment ist der Strukturlogik des Kapitals, das qua immanenter Bewegung zu seiner Aufhebung trennt, immanent. Für die Kunst gesprochen: Nur wenn die Autonomie der Kunst komplett in der kapitalistischen Nominalisierung aufgegangen ist, kann Kunst, durch Überwindung des Kapitalismus, zum Ort der freien Betätigung des Subjekts und so die Autonomie des Ästhetischen als ästhetische Produktion von Subjekt und Gesellschaft erreicht werden.

Damit ergeben sich aber neue Möglichkeiten für das widerständige Potential in den Künsten: Das Kunstwerk, das sein Werk-Sein behauptet ist bereits im Immanenzraum des Kapitals, vor jeder Kolonialisierung, das Außen der ästhetischen Produktion ist bereits in der Struktur des Kapitals befangen. Das Formlose, Andere, das Walten der freien Kräfte des Ästhetischen transzendiert sich selbst und den Nominalismus der sozialen Ordnung also nur in dem Maße, in dem dieses Transzendieren eben zur stetigen Selbstüberschreitung des Kapitals gehört, wodurch jeder Widerstand des Ästhetischen letztlich nur Ausdruck des durchaus revolutionären Prozessierens wäre, das dem Kapitalismus zu eigen ist. Dagegen kann dann in der Kunst Widerstand geleistet werden, wenn das Kunstwerk gleichsam die Negation der Negation vollzieht, also sich selbst durch die selbstbewusste Auflösung in der Kommodifizierung, überschreitet und damit an die Grenze einer denkbaren Transzendenz des Kapitalismus führt. Das bewusste Ausstellen der eigenen Warenförmigkeit, der Unterwerfung unter ein Prinzip der Nutzbarmachung und Benutzung, stellt so zwar die Kunsthaftigkeit in Frage, ist aber zugleich in der Lage, die Zweckrationalität, von der es durchdrungen ist, als gestalterische Kraft kenntlich zu machen als Verwertung durch eine vorerst noch entfremdende Ratio, die durch eine Ratio des befreiten Subjekts ersetzt werden könnte. Durchscheinen könnte damit die Idee eines ästhetischen Produzierens um seiner selbst willen, das vom Kapital nicht internalisiert werden kann, so dass die mögliche Transzendenz des Kapitals in dessen Innenraum als letzte Grenze gefunden wäre. Widerstand der Kunst hieße demnach nicht zu versuchen das Andere im Kapitalismus herzustellen, sondern es im Innenraum des Kapitals eingeschlossen vorzufinden, es aufzusuchen und als Möglichkeit, die nicht durch die eigene, ästhetische Bewegung sondern durch die soziale zu realisieren wäre, aufzuzeigen.

Die Kommodifizierung des Ästhetischen, das in seiner Form Moment der kapitalistischen Struktur ist, löst nicht einfach das Kunstwerk in seiner Warenförmigkeit auf, ist also nicht einfach als Mortifikation der Kunst zu denken. Sondern: Indem das Kunstwerk Ware wird, so ließe sich mit Brecht sagen, indem es also selbst den Anspruch seiner ästhetischen Autonomie aufgibt, wird die Konstitution einer befreiten-befreienden Ästhetik des autonomen Spiels der Kunst denkbar.[46]Ebd. Der Kapitalismus, indem er sich die Kunst aneignet, schafft die Möglichkeit einer Kunst jenseits nominalisierender, kapitalistischer Verwertung.

Referenzen

Referenzen
1 Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, 695.
2, 39, 44, 46 Ebd.
3 etwa: „Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht. […] Auch die Kunstwerke bestanden nicht in sexuellen Exhibitionen.“ Adorno und Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, 148.
4 Dies ist durchaus auch in aller geschichtsphilosophischer Konsequenz zu verstehen. Erst in der wechselseitigen Negation werden die Kunst des bürgerlichen Zeitalters und die Kulturindustrie einander und damit uns erkennbar. Vgl. dazu auch Bürger, Theorie der Avantgarde, 26ff.
5 Menke, Kraft der Kunst, 119.
6 Vgl. dazu auch: Adorno, Ästhetische Theorie, 334ff.
7 Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, 143.
8, 13 Ebd., 144.
9 Zum Funktionswandel von Kunst vgl. auch Bürger, Theorie der Avantgarde, 63ff. Oder auch: Fontius, „Ästhetik contra Technologie“, 124ff.
10 Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, 141ff.
11 Ebd., 145.
12 Ebd., 167.
14 Ebd., 128.
15 Wie schon erwähnt: Adorno und Horkheimer betonen, dass die bürgerliche Kunst notwendig die arbeitenden Massen von der Erfahrung des Ästhetischen ausschließt. Vgl. Ebd., 143.
16 Ebd., 167ff.
17 In ihrem 1999 erschienenen Werk Le nouvel Ésprit du Capitalisme (Der neue Geist des Kapitalismus) bezeichnen die Sozialwissenschaftler Luc Boltanski und Ève Chiapello eine solche Ansicht, wie sich in den Studentenprotesten 1968 hegemonialisierte Ansicht als Künstlerkritik. Kennzeichnend für den neoliberalen Kapitalismus sei dagegen, dass die Künstlerkritik in die ideologischen Maschinen des Kapitals endogenisiert ist. Vgl. Boltanski und Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, 517ff.
18 Dean, Democracy and other Neoliberal Fairytales, 66f.
19 Bröckling, Das unternehmerische Selbst, 260.
20 McLeod, „The Authenticity within Hip-Hop and Other Cultures Threatened with Assimillation“, 174.
21 Vgl.: Klein, Is this real, 91.
22 Hess, „The Rap Career“, 644ff.
23 Loh, „Spiel nicht mit Schmuddelkindern“, 31.
24 Hess, „The Rap Career“, 637.
25 Klein, Is this real, 35ff.
26 Rodman, „Race…and Other Four Letter Words“, 186.
27 Ebd., 183.
28 McLeod, „Authenticity within Hip-Hop and Other Cultures Threatened with Assimilation“, 173. Und: Judy, „On the Question of Nigga Authenticity“, 112ff.
29 Hess, „The Rap Career“, 643.
30 Loh, „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, 96f.
31 Schuller, „Das Literarische in Zeiten von PEGIDA“, 246ff.
32 Klein, Is this real, 31ff.
33 Judy, „On the Question of Nigga Authenticity“, 112.
34 Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 430ff.
35 Fisher, Capitalist Realism, 34.
36 Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 445.
37 Hardt und Negri, Empire, 264ff.
38 Fisher, Capitalist Realism, 33ff.
40 Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, 170f.
41 Vgl.: Ebd. 170ff.
42 Adorno, Ästhetische Theorie, 196.
43 Klasen, „Verblendungsspektakel“, 169ff.
45 Brecht, Der Dreigroschenprozeß, 204.

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